Fast ohne internationale Aufmerksamkeit attackiert die türkische Armee seit Monaten den Nordosten Syriens, der unter kurdischer Verwaltung steht. Ende Dezember zerstörte die Armee das Gesundheitszentrum in Mishtaneur in Kobane. Ärzte der Welt arbeitet seit 2020 in Mishtaneur und hat dort über 100.000 Menschen mitversorgt. Seit dem Angriff ist die Klinik kaum funktionsfähig: Zahlreiche Behandlungsräume einschließlich eines Kreißsaals, der Kinderabteilung sowie die Apotheke sind zerstört. Die gesamte medizinische Ausrüstung, Medikamente, Impfstoffe, Verbrauchs- und Hygienematerialien sind unbrauchbar.
Fehlender Treibstoff und Strom als Gesundheitsrisiko
Mitte Januar 2024 wurden die Menschen informiert, dass die Brennstofflieferungen mit sofortiger Wirkung auf unbestimmte Zeit eingestellt wurden: Lager und Leitungen waren bei den Angriffen zerstört worden. Den Bewohner*innen in den Geflüchtetencamps fehlt nun Brennstoff zum Kochen und Heizen – ein enormes Problem bei den derzeitigen Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt, gerade für Babys und Kleinkinder.
Auch die Attacke auf ein Umspannwerk in Ain Al Arab hat schwerwiegende Folgen. Inzwischen sind mehr als eine Million Einwohner*innen in elf größeren Städten und Gemeinden sowie über 2.750 Dörfer und 1.900 Schulen völlig ohne Strom.
Der limitierte Transport von lebenswichtigen Gütern wie medizinischen Hilfsmittel und Lebensmittel sowie die mangelhafte Stromversorgung sind auch für Gesundheitszentren und den Betrieb medizinischer Geräte ein enormes Problem – mit lebensbedrohlichen Folgen für die Bevölkerung.
Die Maßnahmen von Ärzte der Welt
Unsere Teams vor Ort bewerten die Schäden und suchen nach Möglichkeiten, die Versorgung so schnell wie möglich fortzusetzen. Das Personal arbeitet aus Sicherheitsgründen vorübergehend in anderen nahegelegenen Gesundheitszentren und leistet dort Unterstützung.
Die Teams versuchen Alternativen zu finden und so trotz der Zerstörung den Menschen eine medizinische Behandlung anbieten zu können. Durch die aktuelle Lage müssen sie jedoch Impfungen, die Versorgung von Diabetikern und chronisch Kranken sowie die psychologische Betreuung stark einschränken.
Mehr zu unserer Projektarbeit erfahren Sie in diesem Artikel "Eine Region unter Beschuss".
Gefahr von Epidemien
„Die Teams von Ärzte der Welt vor Ort beobachten die rasche Ausbreitung von Epidemien wie etwa Cholera, Masern, Leishmaniose und unbekannten akuten Atemwegsinfektionen, von denen Tausende von Menschen in Syrien betroffen sind. Das sehen wir vor allem in den überfüllten Camps der Binnenvertriebenen: Die schlechten hygienischen Bedingungen sind ein hohes Risiko für die Übertragung von Epidemien und verschlimmern bestehende Gesundheitsprobleme", erklärt Nicolas Dotta, Direktor von Ärzte der Welt Spanien.
#notatarget: Keine Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur!
Die Attacken verschlechtern die Lebensbedingungen der syrischen Bevölkerung und der Vertriebenen sowie ihren Zugang zu den grundlegenden Menschenrechten, insbesondere dem Recht auf Gesundheit. Ärzte der Welt betont erneut, dass Angriffe auf zivile Infrastruktur gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen, und ruft dazu auf, zivile Infrastruktur und vor allem die Unversehrtheit des Gesundheitspersonals unbedingt zu schützen.
„Wahllose Angriffe auf zivile Infrastrukturen verstoßen gegen das humanitäre Völkerrecht. Die Vertragsstaaten der Genfer Konventionen sind verpflichtet, das humanitäre Völkerrecht zu achten und dafür zu sorgen, dass es eingehalten wird. Sie müssen ihren Einfluss geltend machen, um Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht zu unterbinden", so Nicolas Dotta, Direktor von Ärzte der Welt Spanien.
Die Situation in Nordost-Syrien
Mehr als 16 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, das sind 25 Prozent mehr als 2022. Während der Bedarf weiter steigt, nehmen die zur Verfügung stehenden Finanzmittel ab: Im Jahr 2023 wurden nur ein Drittel der erforderlichen Mittel bereitgestellt, die zur Deckung des humanitären Bedarfs in Syrien eigentlich nötig wären. Der Gesundheitssektor verfügte 2023 nur über 20 Prozent der erforderlichen Finanzen.
Zu wenig Fachkräfte, geschlossene Kliniken
Viele medizinische Fachkräfte sind in den zwölf Jahren des syrischen Bürgerkriegs aus dem Land geflohen, so dass die Gesundheitszentren und Krankenhäuser nicht genügend Personal haben, insbesondere Fachleute wie Hebammen. Der wachsende Bedarf an medizinischer Versorgung der syrischen Bevölkerung kann nicht mehr ausreichend gedeckt werden. Derzeit sind in Syrien nur knapp zwei Drittel der Krankenhäuser und Zentren für die medizinische Grundversorgung in Betrieb. Und seit Anfang 2023 sind zusätzlich mehr als 50 Gesundheitszentren geschlossen, hauptsächlich wegen fehlender Finanzierung.
Wie Sie helfen können
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