„Ankerzentren sind generell kein Ort, um oftmals traumatisierte Menschen mit Fluchterfahrung unterzubringen“, sagt Dr. Johanna Offe, Referentin für Grundsatz und Advocacy von Ärzte der Welt. Belastende Faktoren für das Leben im Ankerzentrum seien etwa ein unzureichender Schutz vor Übergriffen, fehlende Privatsphäre, die große Entfernung von Unterstützungsangeboten, schlechte hygienische Bedingungen und zu wenige Betreuungs- und Bildungsangebote für Kinder.
Nur eingeschränkte medizinische Versorgung im Ankerzentrum
Zudem mangelt es an einer adäquaten medizinischen Versorgung und der systematischen Identifizierung und Betreuung von schutzbedürftigen Personen, etwa psychisch kranker Menschen. Und selbst wenn besondere Bedarfe festgestellt worden sind, gibt es häufig kein Prozedere und nicht ausreichend Personal, um den Menschen die notwendige Behandlung zu ermöglichen.
„Die Zustände in Ankerzentren und Massenunterkünften machen psychisch gesunde Menschen krank und psychisch Kranke noch kränker“, sagte die Ärzte der Welt-Mitarbeiterin Stephanie Hinum schon im Juli 2019. Seitdem hat sich wenig verändert.
Ärzte der Welt mit Angeboten zu mentaler Gesundheit vor Ort aktiv
Ärzte der Welt engagiert sich daher seit 2018 mit verschiedenen Mental Health-Projekten in Flüchtlingsunterkünften und Anker-Dependancen. Zuletzt haben wir in Kooperation mit Fachstellen und Expertinnen Schulungen für Fachkräfte zum Thema sexualisierte Gewalt und psychische Gesundheit sowie Workshops für Bewohnerinnen angeboten.
In den Workshops, die im März fortgesetzt und ausgeweitet werden, lernen Frauen und Männer beispielsweise ihre Rechte im Gesundheitssystem und im Asylverfahren kennen, erhalten Informationen zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und wohin man sich wenden kann, wenn man Gewalt erfahren hat.
Keine Bildung von zwei Klassen von Geflüchteten
Zum anderen kritisiert Ärzte der Welt, dass das Recht auf Schutz einer bestimmten Gruppe nicht gegen das anderer Geflüchteter zurückgestellt werden dürfe. Doch genau das ist geschehen: Menschen aus Afghanistan und dem Jemen sind Anfang März kurzfristig von der Anker-Dependance Fürstenfeldbruck nach Waldkraiburg verlegt worden, um Platz zu schaffen für die neu ankommenden Geflüchteten aus der Ukraine. Die bisherigen Bewohner*innen haben damit ihre Strukturen, etwa zu Beratungs- und Bildungsangeboten, ebenso wie ihr Umfeld verloren. Entsprechend groß ist dort die Verunsicherung und die Unzufriedenheit der Menschen.
Ziel muss es dagegen sein, stabile Lebensverhältnisse mit einer angemessenen Versorgung außerhalb von Massenunterkünften zu schaffen - und zwar für alle Geflüchteten in Deutschland, unabhängig von ihrer Nationalität.