„Neben der Basisgesundheitsversorgung ist unsere höchste Priorität die psychische Gesundheit. Die meisten unserer Patienten und Patientinnen sind vertrieben worden und das hat zu erheblichen psychischen und sozialen Belastungen für sie, ihre Familien und Gemeinschaften geführt. Außerdem leben viele seit Jahren unter prekären Bedingungen in Lagern, sehr weit weg von ihrem Zuhause. Die informellen Verbindungen, die oft das Wohlbefinden einer Gemeinschaft regeln, wurden zerstört. Das alles macht den Einzelnen noch verletzlicher und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass jemand psychische Probleme entwickelt.
Unsere Experten und Expertinnen für psychische Gesundheit haben unter anderem schwere Fälle von Depressionen und Symptome wie Bettnässen erlebt. Aber sie hatten und haben auch das Glück, bemerkenswerte Verbesserungen zu begleiten.
Ich erinnere mich noch gut an die Zeichnungen der neu angekommenen Kinder. Sie waren sehr gewalttätig − mit Darstellungen von Blut, Waffen, Kämpfen und IS-Soldaten. Innerhalb eines Jahres haben sich die Bilder stark verändert. Die Kinder begannen, Sonnen, Gärten und Tiere zu zeichnen. Für mich ist dies ein Beweis dafür, dass es Hoffnung gibt. Deshalb müssen wir unsere Bemühungen fortsetzen.
Es ist sehr wichtig, sich dafür einzusetzen, dass die psychische Versorgung in das Gesundheitssystem integriert wird. Es müssen Gesetzesänderungen durchgeführt und weitere Maßnahmen ergriffen werden, um eine nachhaltige Entwicklung der psychologischen Versorgung zu gewährleisten.
Die Herausforderungen sind jedoch groß. Psychische Gesundheit existiert im Irak zwar auf dem Papier, aber nicht in Gesundheitseinrichtungen. Die Lehrpläne der Universitäten sind psychiatrisch ausgerichtet und nicht auf die Psychologie. Der Mangel an Personal ist ein echtes Problem. Auch das Gesundheitsministerium verfügt nicht über die notwendigen Ressourcen. Es ist noch ein langer Weg. Wir sollten uns nun erst einmal auf Kinder konzentrieren und parallel Angebote für Erwachsene entwickeln, wie etwa soziale Unterstützungsmaßnahmen und Beratung.
Ein weiterer Schwerpunkt sollte auf geschlechtsspezifischer Gewalt (GBV) liegen. Im Fokus der Gesundheitsbehörden in diesem Bereich war bisher vor allem Hilfe für Überlebende von IS-Gewalt, während andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt in den Vertriebenenlagern vergessen wurden. Häusliche Gewalt etwa kommt immer wieder vor, findet aber meist im Verborgenen statt. Es ist daher wichtig, das Bewusstsein für GBV zu schärfen und Überlebenden und Gemeinschaften zu helfen, über dieses Thema zu sprechen. Auch der Aufbau von Kompetenzen ist wichtig. Ärzte der Welt hat kürzlich einen Workshop durchgeführt, um die aktuellen Bedarfe und Möglichkeiten des Kapazitätsaufbaus zu untersuchen.
Eine weitere Priorität ist die sexuelle und reproduktive Gesundheit (SRH). Um die Arbeitsbelastung der Ärzte und Ärztinnen zu verringern, müssen die Fähigkeiten des auf SRH spezialisierten Gesundheitspersonals verbessert und von den staatlichen Gesundheitsbehörden anerkannt werden. Ein besonderes Augenmerk sollte auf die Familienplanung gelegt werden, zu der Binnenvertriebenen und Aufnahmegemeinschaften größtenteils keinen Zugang haben."
Das Projekt wird vom Auswärtigen Amt unterstützt.