Die Herbstsonne und die bunten Blätter können die trostlose Stimmung auf dem Gelände des Hotel Porin nicht übertünchen. Mit dem verwilderten Rosengarten und dem versiegten Springbrunnen darin wirkt die größere der insgesamt zwei Flüchtlingsunterkünfte in Kroatien wie aus der Zeit gefallen, jedoch heruntergekommen und ohne nostalgischen Charme. Die Kinder, die hier leben, scheint das nicht zu stören. Sie lachen und toben herum, wie Kinder überall auf der Welt. Zu hören ist ein Gemisch aus Paschtu, Arabisch, Englisch – und häufig auch Deutsch.
Denn mehr als die Hälfte der rund 450 Bewohner sind nicht aus freien Stücken hier. Sie sind sogenannte Dublin-Fälle, die aus Deutschland oder Österreich nach Kroatien zurückgeschickt wurden. Laut europäischem Recht ist derjenige Staat für ein Asylverfahren zuständig, in dem die Person zum ersten Mal die EU betreten hat. Für die Menschen bedeutet das, dass sie oft nach mehreren Monaten in Deutschland oder Österreich noch einmal bei Null anfangen müssen. Und das in einem Land, in dem die Bedingungen für Geflüchtete alles andere als ideal sind.
Eines der spielenden Kinder ist der jüngste Sohn von Wafaa Ladkani. Bis heute habe der Junge Angst vor Flugzeugen, erzählt die 39-jährige. Sie erinnerten ihn an die Bomben, die in seiner syrischen Heimatstadt Idlib vom Himmel fielen. Ladkani kann nicht verstehen, warum sie sich nach eineinhalb Jahren in Deutschland noch einmal mit ihren Kindern auf den Weg machen musste. „Es fühlt sich an, als ob in meinem Leben immer noch Krieg ist. Warum schickt uns die EU von Land zu Land? So haben meine Kinder keine Zukunft, keine Hoffnung.“
Seit neun Monaten warten sie und ihre Familie im Hotel Porin bereits auf die Entscheidung, ob sie in Kroatien bleiben können. Zu Beginn teilten sie sich zu sechst einen engen Raum, inzwischen stehen ihnen zwei kleine Zimmer zur Verfügung. Die Familie lebt von zehn Euro pro Person im Monat und dem Essen, das sie in der Unterkunft bekommen. Ärzte der Welt versorgt die schwangere Ladkani medizinisch – denn Zugang zum regulären Gesundheitssystem haben Asylbewerber in der Regel nur in Notfällen.
In Hoyerswerda, wo sie mit ihrem Mann und ihren Kindern eineinhalb Jahre gelebt hat, war es besser, sagt Ladkani. Die Kinder gingen zur Schule, lernten die Sprache, hatten deutsche Freunde. Bis eines Nachts um drei plötzlich Polizisten vor der Tür standen. Die Familie durfte nur das Nötigste zusammenpacken und wurde ins Flugzeug nach Kroatien verfrachtet.
„Viele der Patienten, die Ärzte der Welt psychologisch betreut, sind mehrfach traumatisiert“, sagt Projektkoordinatorin Juliette Delescluse. Die meisten haben in ihrem Heimatland und auf der Flucht schlimme Erfahrungen gemacht. Dann kommt die Abschiebung, das erneute Herausgerissenwerden aus der bekannten Umgebung und häufig die Trennung von geliebten Familienmitgliedern. Auch der erzwungene Mangel an Beschäftigung – Sprachkurse werden nicht angeboten und eine Arbeitserlaubnis können Asylbewerber erst nach neun Monaten beantragen – wirkt sich auf die psychische Gesundheit der Menschen aus. Einige berichten von fremdenfeindlichen Übergriffen.
Im Durchschnitt dauere es ihrer Erfahrung nach ein Jahr, bis die kroatischen Behörden die Entscheidung über einen Asylantrag fällen, sagt Delecluse. Die meisten würden abgelehnt. Sogar eine irakische Familie mit einem einjährigen Kind habe schon einmal einen negativen Bescheid erhalten. Um eine Abschiebung zu vermeiden, sei die Familie „freiwillig“ in das von Krieg geplagte Heimatland zurückgekehrt. Auch eine körperliche Behinderung ist für die kroatischen Behörden kein Hindernis, einen Asylantrag abzulehnen, aus „Sicherheitsgründen“ heißt es in den Schreiben oft pauschal.
Viele warten gar nicht erst auf eine Entscheidung, ziehen weiter nach Italien oder Frankreich. Und manche landen dann irgendwann wieder im Hotel Porin.
„Es ist eine Katastrophe, wir bekommen hier keine Hilfe“, sagt Mohammad Hakim (Name geändert). Sein fast akzentfreies Deutsch hat der Syrer von einer ehrenamtlichen Helferin in Hamburg gelernt, wo er ein Jahr zufrieden lebte. Doch dann wurde ihm mitgeteilt, er müsse nach Kroatien zurück.
Der 22-Jährige, der vor seiner Flucht als Reporter für namhafte englischsprachige Medien gearbeitet hat, leidet vor allem unter der Untätigkeit. “Ich bin schon zwei Jahre in Europa und habe immer noch keine Aufenthaltserlaubnis. Ich möchte nicht noch mehr Zeit verlieren. Ich möchte lernen und danach als Journalist arbeiten.“
Hakim fragt sich, warum ausgerechnet er zurück musste. Schließlich seien deutlich mehr Menschen über Kroatien eingereist, als die wenigen Hundert, die nun im Land seien. Das Gefühl der Ungerechtigkeit teilen hier viele. So auch Wafaa Ladkanis 17-jähriger Sohn Wasim: „In Europa herrscht Willkür.“
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