Sie arbeiten hauptsächlich mit Geflüchteten, die ja eigentlich Anspruch auf Leistungen im Rahmen des staatlichen Gesundheitssystems hätten. Warum suchen diese Menschen keinen regulären Facharzt auf?
Fellmann-Meilicke: Schon für Deutsche ist es ja oft schwer, einen Termin bei einem Spezialisten zu bekommen. Besonders im Berliner Umland klagen geflüchtete Menschen darüber, dass sie und ihre Familien nicht nur bei Fachärzten, sondern sogar in Hausarztpraxen in der Akutsprechzeit abgewiesen würden, möglicherweise halten selbst Ärzte sie für nicht „wartezimmertauglich“. Eine irakische Patientin aus dem Umland, die kriegsbedingt Opfer sexueller Gewalt geworden war und deshalb schwer traumatisiert zu mir in die Praxis kam, hatte große Probleme, eine Gynäkologin zu finden.
Welche Rolle spielt kulturelle Sensibilität bei der Arbeit mit Geflüchteten?
Fellmann-Meilicke: Eine Kollegin hat sich in der Supervision darüber beschwert, dass der Vater einer Flüchtlingsfamilie erst beim Hinausgehen scheinbar beiläufig erwähnte, dass seine 12-jährige Tochter nachts einnässt. Sie hatte offenbar kein Verständnis dafür, dass das für den Vater ein extrem schambesetztes Thema war und es ihm darum bis zum letzten Moment unmöglich war, es anzusprechen.
Worunter leiden Ihre Patientinnen und Patienten?
Fellmann-Meilicke: Die meisten haben Posttraumatische Belastungsstörungen, ein langandauerndes körperliches und seelisches Leiden, das in einem Jahrzehnte früheren Tod münden kann. Viele Geflüchtete sind so stark traumatisiert, dass sie sich nicht auf ihren Sprachkurs konzentrieren können. Sie liegen nächtelang wach und ringen mit quälenden, sich immer wieder aufdrängenden schlimmen Erinnerungen an grauenvolle Erlebnisse, denen sie und ihre Familien ausgesetzt waren. Viele sind von ihren engsten Familienmitgliedern, oft auch ihren Kindern, getrennt. Ein ganz furchtbares Schicksal.
Wie können Sie diesen Menschen helfen?
Fellmann-Meilicke: Oft muss ich Medikamente verschreiben. Ich führe auch Kriseninterventionen über einige wenige Sitzungen durch. Ziel ist es, die Menschen aus ihrer Erstarrung zu holen. Viele sind hochmisstrauisch, sie wissen ja nicht, wer da vor ihnen sitzt. Ich versuche, sie spüren zu lassen, dass ich ihnen helfen will und daran interessiert bin, mit ihnen gemeinsam eine Lösung zu suchen.