Rund 100.000 Vertriebene, 200 Verletzte und 300 Tote allein im Mai 2017 sind die traurige Bilanz des seit Jahren tobenden Bürgerkriegs in der Zentralafrikanischen Republik. Frauen und Mädchen werden häufig Opfer sexueller Gewalt: Im Chaos des Krieges sind sie Vergewaltigern häufig schutzlos ausgeliefert und die Täter kommen ohne Strafe davon.
In sechs Gesundheitszentren in der Hauptstadt Bangui bietet Ärzte der Welt Opfern geschlechtsbezogener Gewalt in Zusammenarbeit mit lokalen Akteur(inn)en eine medizinische Versorgung sowie psychologische und juristische Unterstützung.
Wir haben einige Berichte betroffener Frauen und Mädchen zusammengetragen.
Judith, 41
Opfer geschlechtsbezogener Gewalt
„Als die Sélékas (eine Koalition mehrerer muslimischer Rebellengruppen in der Zentralafrikanischen Republik) in Bangui einmarschiert sind, musste ich mit meinem zehn Kindern aus unserem Haus fliehen. Vier der Rebellen haben uns aufgehalten. Sie haben mich und meine dreizehnjährige Tochter vor den Augen der anderen Kindern vergewaltigt. Einer meiner Söhne ist auf der Flucht hingefallen und gestorben. Wir mussten ihn im Wald begraben.
Ein Gemeindearbeiter aus meinem Dorf hat mir von dem kostenfreien und anonymen Betreuungsangebot von Ärzte der Welt erzählt. Ich bin dann hingegangen, um mich davon zu überzeugen. Es ist mehr als zwei Jahre her, dass es passiert ist, aber ich hatte vorher nie den Mut, darüber zu reden, was mir passiert ist. Ich habe anderen Frauen von dem Angebot erzählt, die dann auch den Mut hatten, sich an das Gesundheitszentrum zu wenden.“
Suzanne
Hebamme im Gesundheitszentrum Begoua
„Ich bin sehr froh mich an der Versorgung von Opfern geschlechtsbezogener Gewalt zu beteiligen. Die Frauen, die hierher kommen, sind in einem schlimmen Zustand. Als Frau kann ich das kaum ertragen und das ist auch der Grund, warum ich mich entschieden habe, ihnen zu helfen und mich um sie zu kümmern. Ich möchte ihnen alles erleichtern.
Ich bin besonders betroffen, wenn ich Frauen behandele, die mehrfach vergewaltigt wurden oder Frauen, die durch eine Vergewaltigung schwanger geworden sind und dann keinerlei Unterstützung von ihrer Gemeinschaft bekommen.“
Alice, 15
Opfer geschlechtsbezogener Gewalt
„Als meine Mutter nicht da war, hat mein Vater mir befohlen ins Haus zum Schlafen zu kommen. Als ich hinein gegangen bin, hat er mir mein Lendentuch ausgezogen und hat mit mir geschlafen. Er hat mir danach gedroht, er würde mich töten, wenn ich es jemandem erzählen würde.
Meine Mutter hat dennoch davon erfahren und mich zum Gesundheitszentrum gebracht. Sie hatte von ihrer Schwester von dem Betreuungsangebot gehört. Ich wurde im Gesundheitszentrum von einer Juristin beraten und von einer Hebamme betreut. Ich hatte starke Unterleibsschmerzen, aber seit der Behandlung geht es mir viel besser. Auch eine psychosoziale Beraterin hat mir sehr geholfen. Sie hat mir zugehört und mich ermutigt.“
Andrée-Marie
Juristin im Gesundheitszentrum Gobongo
„Ich bin Juristin und arbeite seit sechs Monaten mit Opfern sexueller Gewalt. Ich möchte Menschen helfen, die ihre Rechte nicht kennen.
Die Rechtshilfe ist wichtig, um den Opfern geschlechtsbezogener Gewalt Hoffnung zu geben. Ich höre ihnen zu, ich verfasse die Klagen und ich begleite sie auch bei Gericht, damit sie Schadensersatz erhalten. Die Einführung des Strafgerichtshof gibt den Opfern Hoffnung.“
Estelle, 21
Opfer geschlechtsbezogener Gewalt
„Als die Séléka Bangui eingenommen haben, haben sie meine Großmutter brutal geschlagen. Als ich einschreiten wollte, haben sie auch mich geschlagen, mich auf den Boden geworfen und vergewaltigt. Ich bin Mutter von drei Kindern, das Jüngste stammt von diesem Missbrauch.
Daraufhin hat mein Ehemann meine Kinder und mich verlassen. Er hat unseren Eltern mitgeteilt, ich wäre die Frau der Sélékas und er könnte nicht weiter mit dieser Schande leben. Ich hatte nicht den Mut ins Krankenhaus zu gehen. Ich hatte Angst, dass die Leute mich verspotten. Als mein jüngster Sohn erkrankt ist, bin ich ins Gesundheitszentrum von Gobongo gegangen. Dort habe ich eine Juristin getroffen, die gerade dabei war, über Missbrauch und häusliche Gewalt aufzuklären. Sie sagte, dass alles, was besprochen wird, zwischen ihr und den Patienten bleibt. Sie hob auch die Bedeutung einer medizinischen Betreuung hervor. So hatte ich den Mut nach der Beratung meines Sohnes, mich selbst beraten zu lassen. Niemand konnte mich in ihr Büro eintreten sehen, da es versteckt am Ende des Gesundheitszentrums liegt.
Ich wurde von der Juristin sehr nett empfangen. Sie ließ mir Zeit, mich auszudrücken und sagte mir, ich könnte die Täter belangen. Sie schickte mich danach für eine medizinische Versorgung zu einer Hebamme und zu einer psychosozialen Beraterin. Ich habe die Unterstützung dieser Dienste sehr geschätzt und seitdem habe ich viele Frauen, die das gleiche erlebt haben, ermutigt ins Gesundheitszentrums zu gehen.“
Geneviève, 41
Opfer geschlechtsbezogener Gewalt
„Ein junger Mann der Umgebung hat mich immer wieder belästigt. Er sagte zu mir: „Du fühlst dich zu wichtig! Denkst du, du bist die einzige Frau der Welt? Ich kriege dich schon noch.“ Immer wenn ich an ihm vorbei gegangen bin, machte er sich über mich lustig und eines Tages hat er mich so stark aufs Ohr geschlagen, dass ich dort verletzte wurde.
Meine Nachbarin hatte von dem Behandlungsangebot des Gesundheitszentrums gehört und hat mir geraten dort hinzugehen. Ich wurde von einer Juristin und einer psychosozialen Beraterin empfangen. Als ich ihnen die Vorfälle geschildert habe, urteilten sie nicht über mich. Im Gegenteil, sie haben mir geglaubt. Mir wurde eine Hebamme und an die Kleinchirurgie vermittelt. Alle Dienste waren kostenfrei und ich habe vor allem den respektvollen und vertraulichen Umgang geschätzt.
Viele Frauen sind in dieser Situation, doch sie haben Angst darüber zu reden und davor, dass ihnen niemand glaubt oder sie Vergeltungsmaßnahmen erleiden müssen. Wir müssen an Sensibilisierungsprojekten arbeiten, damit die Gewalt in unseren Gemeinden ein Ende nimmt!“
Cyril
Psychosozialer Berater im Gesundheitszentrum Liton
„Durch Katastrophensituationen, ob von menschlicher oder natürlicher Gewalt ausgelöst, verlieren Menschen einen wichtigen Teil ihres Lebens. Das Mindeste an Respekt, das ein Mensch verdient hat, geht dabei manchmal verloren. Die Betroffenen brauchen ja nicht nur eine Unterkunft und Nahrung, sondern auch einen geschützten Rahmen für ihre intimen Bedürfnisse, etwa, ihr Sexualleben auf eine gesunde Weise fortzusetzen und die Folgen sexueller Gewalt hinter sich zu lassen.
Als Sozialarbeiter möchte ich den Opfern geschlechtsbezogener Gewalt mit sozialer Unterstützung und Entlastung bei der psychologischen Genesung helfen. Mich berühren vor allem die Fälle von Minderjährigen, die mehrfach missbraucht wurden von Tätern, die jetzt noch immer mit ihnen in einer Gemeinde frei leben können.“
Die Namen der Betroffenen wurden geändert.