„Die EU darf nicht dabei zusehen, wie Deutschland die absoluten Grundlagen eines menschenwürdigen Lebens missachtet und Teilen der Bevölkerung de facto den Zugang zur Gesundheitsversorgung verwehrt", betont Sarah Lincoln, Juristin bei der GFF. Dabei garantiert die EU-Grundrechtecharta das Recht auf ärztliche Versorgung. Deutschland verstößt mit der Meldepflicht im Gesundheitswesen gegen verfassungs- und europarechtliche Vorgaben. In keinem anderen europäischen Land sind die für die Gesundheitsversorgung zuständigen staatlichen Anlaufstellen verpflichtet, Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus zu melden.
Menschen, die in Deutschland ohne geregelten Aufenthaltsstatus leben, haben auf dem Papier zwar einen Anspruch auf Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände. Sobald sie sich an die Sozialbehörde wenden, um den dafür erforderlichen Behandlungsschein zu erhalten, droht ihnen jedoch die Abschiebung. Die Sozialbehörde ist dazu verpflichtet, die Daten an die Ausländerbehörde zu übermitteln. Aus Angst vor einer Abschiebung meiden Betroffene den Gang zum Arzt.
„Es ist unfassbar, dass in Deutschland hunderttausende Menschen leben, die keinen Zugang zu ärztlicher Versorgung haben. Selbst Kinder erhalten keine ärztliche Behandlung. Lebensbedrohliche und auch ansteckende Krankheiten bleiben bis zum absoluten Notfall unbehandelt", kritisiert Janina Gach, Advocacy-Referentin bei Ärzte der Welt.
Statt wie angekündigt eine zügige Reform umzusetzen und den Gesundheitsbereich von der Meldepflicht auszunehmen, verschärft die Bundesregierung die Vorschriften zum Datenaustausch im Ausländer- und Sozialrecht. Vor diesem Hintergrund legt das Bündnis seine Beschwerde von 2021 erneut bei der Europäischen Kommission vor und rügt eine Verletzung der europäischen Datenschutzvorgaben und des Rechts auf Gesundheitsversorgung.
Kampagne GleichBeHandeln stellt klare Forderungen
Gemeinsam mit über 80 weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen setzen sich die GFF und Ärzte der Welt seit 2021 mit der Kampagne GleichBeHandeln dafür ein, dass Menschen ohne Angst zum Arzt gehen können.
Einwanderungskontrolle und Gesundheitsversorgung müssen von der Bundesregierung endlich getrennt behandelt werden, wie bereits von mehreren UN-Menschenrechtsausschüssen gefordert. Die Europäische Kommission hat jetzt 12 Monate Zeit, um eine Verletzung von EU-Recht zu prüfen. Liegt ein Verstoß vor, kann die Kommission ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren einleiten.
Aktuell zur Europawahl
Wie halten es die Parteien mit dem Grundrecht auf Gesundheit? Ärzte der Welt hat den Parteien im Vorfeld der Europawahl auf den Zahn gefühlt und ihnen vier Fragen, sogenannte Wahlprüfsteine, geschickt. Lesen Sie die Antworten der Parteien.
Mehr Informationen zur aufenthaltsrechtlichen Meldepflicht und zur Beschwerde an die EU-Kommission finden Sie hier: https://freiheitsrechte.org/themen/soziale-teilhabe/ohne-angst-zum-arzt
Mehr Informationen zur Kampagne #GleichBeHandeln finden Sie unter gleichbehandeln.de