Verlust von Angehörigen, Krankheit, Vertreibung, Unsicherheit, wirtschaftliche Not und permanente Luftangriffe: Die Ukrainer*innen leiden massiv unter dem nun schon zwei Jahre andauernden Kriegszustand. Und je länger er andauert, desto größer die Risiken für ihre körperliche und mentale Gesundheit. Kurz vor dem zweiten Jahrestag des russischen Einmarschs ruft Ärzte der Welt die internationale Gemeinschaft dazu auf, das ukrainische Gesundheitssystem zu unterstützen. Mit ihrer Videokampagne #AsLongAsItTakes wirft die Organisation gleichzeitig ein Schlaglicht auf die psychische Belastung der Bevölkerung.
Mehr als die Hälfte der Ukrainer*innen hat ein potenziell traumatisierendes Ereignis erlebt und benötigt laut Daten der Regierung und internationaler NGOs aus dem vergangenen Jahr psychologische Unterstützung. In der Nähe der Front leiden die Menschen am meisten, da sie keinen Zugang zu grundlegenden Ressourcen wie medizinische Versorgung haben. Aber auch in anderen Teilen des Landes leidet ein großer Teil der Bevölkerung unter einem hohen Maß an Angst und Hoffnungslosigkeit.
„Es herrscht ein ständiges Gefühl der Ungewissheit, das extrem belastend ist. Die Menschen wissen nicht, wann der Krieg zu Ende sein wird. Sie wissen nicht, wann sie oder ein ihnen nahestehender Mensch eingezogen werden, um an der Front zu kämpfen. Der Krieg verschärft bereits bestehende systemische, gemeinschaftliche und individuelle Probleme. Zu der Angst, von einer Rakete getötet zu werden, kommen also noch die alltäglichen Schwierigkeiten der Menschen hinzu. All dies kann zu schweren psychosomatischen Symptomen, Panikattacken, Depressionen oder Schlimmerem führen", sagt Panagiotis Chondros, Koordinator für psychische Gesundheit bei Ärzte der Welt.
Gleichzeitig ist das Gesundheitssystem aufgrund des bewaffneten Konflikts vielerorts nicht in der Lage, den steigenden Bedarf der Bevölkerung nach medizinischer Versorgung zu decken. Die mobilen medizinischen Teams von Ärzte der Welt, zu denen auch Psycholog*innen gehören, unterstützen dabei, diese Lücken zu füllen. Darüber hinaus zielt die Organisation darauf ab, die psychische Gesundheit der Menschen zu fördern, bevor es zu schweren Erkrankungen kommt. Zum Beispiel durch die Ausbildung von Fachleuten, wie Hausärzt*innen und Sozialarbeiter*innen. Sie werden darin geschult, Warnzeichen bei ihren Patient*innen und Klient*innen zu erkennen, aber auch selbst eine größere Resilienz zu entwickeln. Ein weiteres innovatives Mittel sind so genannte Playback-Theateraufführungen, die den Zuschauer*innen wirksam helfen können, ihre Probleme zu bewältigen und den Zusammenhalt innerhalb der Gemeinden zu fördern.
„In der ersten Sitzung konnte ich nicht sprechen, ich habe nur geweint. Seit einigen Monaten nehme ich an Einzelsitzungen mit der Psychologin von Ärzte der Welt teil und mir geht es emotional viel besser. Sie hat mir beigebracht, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Jetzt habe ich die Kraft, mein Leben weiterzuführen", sagt Yuliya Nikolaenko, Patientin einer Ärzte der Welt-Psychologin im Dorf Shyshkivka in der Region Tschernihiw.
Seit Beginn des Krieges haben Mitarbeitende von Ärzte der Welt mehr als 92.000 Ukrainer*innen unterstützt. Mehr als 17.680 erhielten psychologische und psychosoziale Versorgung. Insgesamt hat Ärzte der Welt mehr als 131.900 Konsultationen durchgeführt.
Und Ärzte der Welt wird auch weiterhin für die Menschen da sein. Solange es nötig ist.
Dazu müssen jedoch die Gesundheitsinfrastruktur und das Personal geschützt werden. Seit Beginn des Krieges wurden 122 Mitarbeitende des Gesundheitswesens getötet und 237 verletzt. Außerdem wurden 21 humanitäre Helfer*innen getötet und 40 verwundet, die meisten von ihnen lokale Kräfte. Ärzte der Welt erinnert die Verantwortlichen daran, dass humanitäre Mitarbeiter*innen und Infrastrukturen gemäß dem humanitären Völkerrecht nicht Ziel von Angriffen sein dürfen!
Unsere Expert*innen in der Ukraine stehen für Interviews zur Verfügung.