Sayed, Du kommst aus Afghanistan, inzwischen lebst Du hier in München. Wie hat sich das ergeben?
Ich bin in Parwan, im Zentrum Afghanistans, aufgewachsen. Schon als Schüler habe ich im Elektronikladen meines Bruders mitgeholfen und mich mit Computern und IT beschäftigt. Ich konnte mir viel Wissen aneignen und bereits zu Schulzeiten Studierende unterrichten. Dabei unterstützte ich Informatikstudierende, sich gezielt auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Das war auch eine gute Möglichkeit für mich, nebenbei mein eigenes Schulgeld zu verdienen.
Dann habe ich berufsbegleitend Soziologie und soziale Arbeit studiert. Zunächst habe ich im Bereich Erwachsenenbildung gearbeitet und Kurse für Englisch als Fremdsprache sowie zu EDV-Fähigkeiten angeboten. Später hatte ich die Möglichkeit, eine etwa zweijährige Umschulung im Bereich IT zu machen. Ich habe es als große Chance gesehen, bei Ärzte der Welt meine Arbeit im sozialen Bereich mit der IT- und Technikwelt zu verbinden.
Wo hast Du diese Weiterbildung gemacht?
Meine Umschulung habe ich an einem Stützpunkt der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF*) in Bagram, nördlich von Kabul, absolviert. Nebenbei habe ich als interkultureller Dolmetscher gearbeitet. Diese interkulturellen Dolmetscher waren damals enorm wichtig, damit das Projekt der ISAF überhaupt funktionieren konnte.
Die vielen unterschiedlichen Nationen am Stützpunkt waren für mich eine große Bereicherung. Diese Vielfalt faszinierte mich und stärkte meine Begeisterung für den interkulturellen Austausch.
Ende 2014 musstest Du Afghanistan verlassen.
Ja, ich war dort aufgrund meiner Arbeit in einer internationalen Umgebung durch lokale Gruppierungen bedroht worden. Ich konnte nicht mehr im Land bleiben und musste fliehen. Ohne Papiere mehrere Länder durchqueren zu müssen, war eine enorme Herausforderung.
Wie ging es in Deutschland für Dich weiter?
In Deutschland gab es erstmal keinen Sprachkurs für mich, also habe ich mir größtenteils selbst deutsch beigebracht. Daraufhin habe ich mehrere Jahre im sozialen Bereich gearbeitet, vor allem Geflüchtete unterstützt und geholfen, Migrant*innen in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Schließlich hast Du wieder den Weg in die IT eingeschlagen.
Ja, ich habe beispielsweise Schulungen zu IT-Themen angeboten. So hat sich auch die Möglichkeit ergeben, bei Ärzte der Welt zu arbeiten. Für mich ist das ideal, da ich die Werte der Organisation mit meiner Leidenschaft für IT verbinden kann – beides bereitet mir große Freude. Inzwischen bin ich schon seit fast zwei Jahren bei Ärzte der Welt.
Ehrenamtlich engagiere ich mich weiterhin, unter anderem seit Jahren bei einem interkulturellen Filmfestival. Meine Freude an verschiedenen Kulturen kommt also nicht zu kurz.
* International Security Assistance Force (ISAF) war eine Sicherheits- und Wiederaufbaumission unter NATO-Führung im Rahmen des Krieges in Afghanistan. Sie bestand von 2001 bis 2014.