Mit nur 32 Jahren verstarb die Rumänin Marina Draghici (Name geändert) nach einem schweren Leidensweg Mitte Oktober an Krebs. „Es hätte nicht so weit kommen müssen, wenn sie rechtzeitig eine Arztpraxis hätte aufsuchen können", sagt Monica Ilea, Projektreferentin bei Ärzte der Welt.
Marina Draghici hatte sich Ende Juni im Münchener Übernachtungsschutz, wo sie zu dieser Zeit schlief, an open.med gewandt. Einmal in der Woche ist das Team dort mit einem Behandlungsbus im Einsatz, um obdachlose Patient*innen medizinisch zu versorgen.
„Als Frau Draghici zu uns kam, war sie sehr schwach. Sie hatte zwei Monate lang durchgehend Blutungen gehabt, war blass, hatte Kopfschmerzen. Sie sagte, sie sei in der Dusche ohnmächtig geworden", so die Ärzte der Welt-Mitarbeiterin Ilea.
Zweimal, berichtete die Patientin, habe sie den Rettungsdienst gerufen. Doch man habe ihr nur gesagt, bei Frauen seien starke Blutungen und Schmerzen nicht ungewöhnlich.
Einer der ehrenamtlichen Ärzte von open.med untersuchte Marina Draghici und bestätigte, dass die junge Frau dringend in ein Krankenhaus müsse. Das open.med-Team vermittelte sie an die Notaufnahme. In der Klinik wurde Gebärmutterhalskrebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert.
Es folgten eine Reihe von Krankenhausaufenthalten und Behandlungen, unter anderem eine Chemotherapie. Das Ärzte der Welt-Team gab den Fall an die Clearingstelle weiter, die teilweise für radiologische Untersuchungen in Vorleistung ging.
Sowohl in als auch außerhalb der Klinik war Frau Draghici immer wieder mit Barrieren und Schwierigkeiten konfrontiert. Zunächst hatte sie keinen Ort, an dem sie zwischen den Chemotherapie- und Bestrahlungssitzungen zu Kräften kommen konnte. Das open.med-Team konnte sie und ihren Partner schließlich dabei unterstützen, ein städtisches Pensionszimmer zu erhalten.
Wenn Frau Draghici die Notaufnahme aufsuchen musste, weil es ihr sehr schlecht ging, verlangte man, dass sie mit 300 Euro in Vorkasse ginge, da sie keine Versichertenkarte besaß. Nur durch die hartnäckige telefonische Vermittlung der Ärzte der Welt-Mitarbeiterin Monica Ilea wurde die Patientin aufgenommen. „Man musste explizit mehrfach darauf hinweisen, dass es sich um einen Notfall handelt und die Dame mittel- und obdachlos ist. Damit ist die Klinik verpflichtet, sie zu behandeln."
Bei den Untersuchungen im Krankenhaus wurde Frau Draghici, die kaum Deutsch sprach, auch kein*e Dolmetscher*in zur Verfügung gestellt. Fast täglich und zu jeder Uhrzeit riefen Klinikmitarbeitende Monica Ilea an und baten sie, zu übersetzen. „ Man sagte mir, man habe keine Kapazitäten, eine Sprachmittlung zu organisieren. Auch Frau Draghicis Partner hat mich immer wieder angerufen, weil keiner mit ihm gesprochen hat. Um die zwingend erforderlichen Therapien nicht zu gefährden, habe ich aus Verbundenheit zu unserer Patientin die telefonische Sprachmittlung übernommen", berichtet Ilea.
Selbst als es um schwerwiegende Therapien, wie Bestrahlung oder Chemotherapie, und später um Palliativ- und Wiederbelebungsmaßnahmen ging, rief das Klinikpersonal Monica Ilea an und bat sie zu dolmetschen.
Am 14.10.22 verstarb Marina Draghici. Sie hinterließ ihren Partner und zwei Kinder.
„Ihr Tod hätte vielleicht vermieden werden können, hätte sie zur Vorsorge gehen können und wenn die zahlreichen anderen Barrieren nicht gewesen wären. Marina Draghici ist nur einer von vielen Fällen, von dem wir nur wissen, weil sie den Weg zu uns gefunden hat. Und nicht selten ist es dann eigentlich bereits zu spät", sagt Monica Ilea. „Menschenleben dürfen nicht von zivilgesellschaftlichen und ehrenamtlich getragenen Projekten abhängen!"
Ärzte der Welt fordert einen diskriminierungs- und barrierefreien Zugang zu medizinischer Versorgung für alle Menschen in Deutschland. Die konkreten politischen Forderungen und weitere Informationen zur Situation von Menschen ohne ausreichenden Krankenversicherungsschutz sind nachzulesen im neu veröffentlichten Ärzte der Welt-Gesundheitsreport.