Schon eine Stunde bevor die Sprechstunde von open.med München beginnt, versammeln sich die ersten Patient*innen vor der Tür der Anlaufstelle für Menschen ohne Zugang zu regulärer Gesundheitsversorgung. Sie wissen, dass die Wartezeiten durch die Pandemie länger sind. „Einerseits sind die Prozesse in der Praxis durch die Corona-Schutzvorkehrungen langwieriger, andererseits kommen mehr schwere Fälle“, sagt Projektreferentin Annemarie Weber.
Die Patient*innen melden sich durch ein Fenster an und werden nach Corona-Symptomen befragt. Gibt es Anzeichen auf das Virus, werden sie in den Innenhof zu einem Behandlungsbus geführt, der als Corona-Teststation dient. Ist der Schnelltest negativ, darf die Person in die Praxis eintreten. Die behelfsmäßige, aber funktionale Teststation ist Teil des Konzeptes, mit dem sich Ärzte der Welt auf die Pandemie eingestellt hat: So arbeiten alle Mitarbeiter*innen mit FFP2-Masken und Luftfilter reinigen die Luft. Auch werden nicht mehr so viele Patient*innen in den Warteraum eingelassen. Vor der Tür aufgestellte Wärmestrahler lassen die Wartenden weniger frieren.
Bei einer Sprechstunde im Februar ist eine Familie aus dem Irak in die Anlaufstelle gekommen. Der Mann ist bereits als Flüchtling anerkannt, seine Frau und Tochter konnte er über eine Familienzusammenführung nachholen. Weil aber die Behörden während der Pandemie deutlich langsamer arbeiten als sonst, haben sowohl die kranke Ehefrau als auch die Tochter seit über drei Monaten keinen Versicherungsschutz. Die Mitarbeitenden von open.med München behandeln die Frau und versorgen sie mit Medikamenten. Daneben klären sie die Familie über das Krankenversicherungssystem in Deutschland auf.
Ein wohnungsloser Mann kommt für einen Corona-Test, denn er macht sich Sorgen, dass ihn Mitbewohner in einer Unterkunft für Wohnungslose angesteckt haben könnten. Ein negativer Test gibt zunächst Entwarnung.
Für viele der Klient*innen ist es aufgrund ihrer Lebenssituation schwierig, sich vor einer Infektion zu schützen. Ärzte der Welt weist seit Beginn der Pandemie darauf hin, dass Sammelunterkünfte keine geeignete Unterbringungsform sind, da dort die Ansteckungsgefahr für Covid-19 potenziert ist. Den Mitarbeitenden von open.med ist es in den vergangenen Monaten immerhin gelungen, über 100 Atteste für besonders gefährdete Personen auszustellen. Dies erlaubte es schwer und chronisch kranken sowie älteren Menschen, von der Münchner Notunterkunft mit Sechs-Bett-Belegung in eine Unterkunft mit maximal Zwei-Bett-Zimmern, besseren Hygiene-Bedingungen und besserer Versorgung zu wechseln.
Da viele unterstützende und öffentliche Einrichtungen schließen mussten, ist für die Patient*innen der tägliche Überlebenskampf noch problematischer geworden. Auch stehen ihnen häufig nicht genügend Informationen über Schutzmaßnahmen gegen Covid-19 zur Verfügung.
„Es war uns von Anfang an klar, dass es die Menschen, die bereits in der normalen Versorgungslage sehr große Schwierigkeiten haben, einen Zugang zu medizinischer Behandlung zu bekommen, unter den Bedingungen der Pandemie nochmal besonders schwer haben. Wir wollten daher unseren Patientinnen und Patienten unbedingt eine Möglichkeit aufrechterhalten, weiterhin medizinische Versorgung in Anspruch nehmen zu können“, beschreibt Cevat Kara, der Projektleiter von open.med München, die Lage.
Das Team der Anlaufstelle open.med München führt seine Arbeit also unter erschwerten Bedingungen fort: die Mitarbeitenden behandeln die Patient*innen, geben Medikamente aus, vermitteln an andere Stellen weiter, hören zu, sprechen mit den Menschen und unterstützen sie, sich in diesen herausfordernden Zeiten zurechtzufinden.