Mit Hilfe der Resolution 2165, die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Jahr 2014 verabschiedet hat, haben Millionen von Menschen in Syrien humanitäre Hilfe erhalten. Möglich war dies durch von den Vereinten Nationen (UN) geleitete grenzüberschreitende Maßnahmen. Um „sicherzustellen, dass die humanitäre Hilfe, einschließlich medizinischer und chirurgischer Hilfsgüter, die bedürftigen Menschen in Syrien auf dem direktesten Weg erreicht", wurden mit der Resolution die Grenzübergänge Bab al-Salameh, Bab al-Hawa, Al-Ramtha und Al-Yarubiyah für humanitäre Hilfe geöffnet.
Ab 2020 hatte der UN-Sicherheitsrat die Zahl der erlaubten Grenzübergänge von vier auf einen reduziert, so dass Bab al-Hawa die einzige Möglichkeit für Transporte geblieben war. Dieser Grenzübergang stellte eine Verbindung zwischen der Provinz Idlib und der Türkei dar und ermöglichte es, humanitäre Hilfe in den Nordwesten Syriens zu bringen. Mit der Resolution 2585 aus dem Jahr 2021 genehmigte der UN-Sicherheitsrat, dass der Übergang für weitere zwölf Monate geöffnet blieb. Am 10. Juli 2022 fiel nun die Entscheidung, die Vereinbarung zu verlängern, durch das Veto Russlands negativ aus.
Mehr als vier Millionen Menschen im Nordwesten Syriens sind auf humanitäre Hilfe angewiesen
Jeden Monat erhalten mehr als 2,4 Millionen Syrer humanitäre Hilfe, die über Bab al-Hawa geliefert wird. Im Jahr 2021 haben mehr als 9.500 Lastwagen Lebensmittel, Medikamente und andere dringend benötigte Güter über Bab al-Hawa nach Syrien geliefert.
Der Krieg in der Ukraine und die schlimmste Dürre in Syrien seit 70 Jahren 2021 haben sich negativ auf die Ernährungssicherheit im ganzen Land ausgewirkt. Nach Angaben der Vereinten Nationen ist die Zahl der Syrer, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, nach elf Jahren Konflikt mit 14,6 Millionen so hoch wie nie zuvor. Im Nordwesten Syriens liegt diese Zahl derzeit bei 4,1 Millionen, gegenüber 3,4 Millionen im Jahr 2021.
Eine Verlängerung der Resolution 2585 wäre auch von entscheidender Bedeutung gewesen, um medizinische und chirurgische Hilfsgüter zu liefern. Im Nordwesten Syriens versorgen 70 Krankenhäuser, 186 stationäre Basisgesundheitszentren und 77 mobile Kliniken mehr als 4 Millionen Menschen. Bereits jetzt haben diese Einrichtungen mit großen Finanzierungslücken zu kämpfen. Die Hilfsgüter und die Unterstützung durch die UN-Organisationen spielen eine entscheidende Rolle bei der medizinischen Versorgung der lokalen Bevölkerung und der Binnenvertriebenen in der Region. Darüber hinaus können die meisten wichtigen Arzneimittel und Impfstoffe von den NGOs ohne die Hilfe der Vereinten Nationen nicht beschafft werden.
Drastische Auswirkungen
Zusätzlich zu den UN-Lieferungen, die die humanitären Akteure im Nordwesten mit Gütern versorgen, ermächtigt die Resolution die UN über den grenzüberschreitenden humanitären Fonds der Vereinten Nationen für Syrien (SCHF) auch zur finanziellen Unterstützung von Programmen in nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten. Dadurch dass die Resolution nicht verlängert wird, verlieren syrische humanitäre Nichtregierungsorganisationen, die nicht von der syrischen Regierung autorisiert und Hauptempfänger des Fonds sind, den Zugang zu diesen Mitteln.
Keine Alternative für humanitäre Hilfe im Nordwesten Syriens
Die Schließung des letzten verbliebenen Grenzübergangs verstößt gegen die humanitären Grundsätze und das humanitäre Völkerrecht. Sie bedroht das Leben von Millionen von Männern, Frauen und Kindern, die für ihr Überleben auf humanitäre Hilfe von außen angewiesen sind. Die humanitäre Hilfe, die über die grenzüberschreitenden UN-Einsätze geleistet wird, macht 80 Prozent der Lebensmittelhilfe im Nordwesten Syriens aus. Weder die von den NGOs geleistete Unterstützung noch die grenzüberschreitenden Operationen sind derzeit in der Lage, den erforderlichen Umfang an Hilfe zu leisten. Eine mindestens zwölfmonatige Verlängerung der Resolution, die eine angemessene Planung einer wirksamen und vorhersehbaren humanitären Hilfe ermöglicht, wäre von entscheidender Bedeutung, insbesondere vor den zu erwartenden strengen Wintermonaten.
Das Ärzte der Welt-Netzwerk hatte gefordert, die Resolution mindestens um zwölf Monate zu verlängern. Lesen Sie hier das vollständige Statement in englischer Sprache:
Erklärung des internationalen Ärzte der Welt-Netzwerks
Wir fordern die Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen auf, die Verlängerung der grenzüberschreitenden Resolution um mindestens 12 Monate zu genehmigen. Wir fordern die Vertreter*innen unserer Regierungen und insbesondere die Ständigen Vertreter*innen Chinas, Frankreichs, Russlands, des Vereinigten Königreichs und der USA bei den Vereinten Nationen auf, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um den humanitären Zugang nach Syrien zu gewährleisten. Wir rufen auch die internationale Gemeinschaft und die Nichtregierungsorganisationen auf, das Bewusstsein für die Bedeutung der Resolution zu schärfen, indem sie die Notwendigkeit einer ausreichenden und effizienten humanitären Hilfe für den Nordwesten Syriens unterstreichen.
Die Arbeit von Ärzte der Welt in Syrien
Ärzte der Welt ist seit 2008 in Syrien aktiv. Mit dem Ausbruch der Feindseligkeiten passte Ärzte der Welt seine Maßnahmen an, um besser auf die Bedürfnisse der syrischen Bevölkerung eingehen zu können. In den vergangenen elf Jahren des Syrienkonflikts hat Ärzte der Welt zahlreiche medizinische und humanitäre Maßnahmen durchgeführt, um die unter dem Krieg leidenden Menschen zu unterstützen. Die Komplexität des Konflikts – mit zahlreichen Akteuren, eingeschränktem Zugang, direkten Angriffen auf medizinisches Personal und Einrichtungen sowie einem enormen Bedarf – hat zu einer ebenso komplexen Reaktion geführt. Ärzte der Welt führt Maßnahmen direkt oder über Partnerschaften mit lokalen Partnern in Syrien und in den Nachbarländern mit syrischen Geflüchteten durch.