Jetzt bist du 15 Jahre bei Ärzte der Welt. Wie bist Du damals zu Médecins du Monde, der französischen Sektion von Ärzte der Welt, gekommen?
Médecins du Monde, kurz MdM, ist in Frankreich sehr bekannt. Ich war noch Student und mein Uni-Dozent, Vorstandsmitglied von MdM Frankreich, hatte mich auf die Organisation aufmerksam gemacht. Ich habe als Ehrenamtlicher angefangen und vor allem Veranstaltungen und Aktionen begleitet und mitorganisiert. Das ist mir bis heute geblieben, auch wenn ich heute in einer anderen Position bin.
Wann hast Du dann bei Ärzte der Welt in Deutschland angefangen?
Gefühlt war das gestern, aber es war Ende 2006. Am Ende meines Studiums habe ich mit meiner Ausbildung als Übersetzer für Deutsch und Französisch eine Stelle im deutschsprachigen Raum gesucht. Ich wollte etwas, wo ich meine Erfahrungen kombinieren konnte. Über MdM habe ich erfahren, dass es in Deutschland ein ganz kleines Team gibt, da arbeiteten in der Geschäftsstelle inklusive zwei Praktikant*innen nur sechs Personen, unterstützt wurden sie damals schon von zahlreichen Ehrenamtlichen. Ich habe dort als Praktikant mitgeholfen, eine kleine Fotoausstellung zu organisieren. Die Ausstellung war eine Katastrophe. Sie war mit viel Engagement, aber wenig Erfahrung initiiert worden. Es gab zu wenig Informationen zum Kontext. So haben die Leute die Fotos und ihre Aussagen nicht verstanden und die Bilder zum Teil beschädigt zurückgeschickt.
Am Ende meines Praktikums mit dem Schwerpunkt Kommunikation kam die Geschäftsleitung auf mich zu, und ich wurde der „Mann für alles“: für die Grafik, technische Themen, Website-Entwicklung, Organisation, Hintergrundarbeiten.
Habt ihr anfangs damit gehadert, dass Ärzte der Welt in Deutschland verhältnismäßig klein war und damit auch sehr beschränkte Möglichkeiten hatte?
Manchmal hatten wir ja tolle Ideen, für die wir aber als Organisation zu wenige Kapazitäten hatten. Das hat uns dann schon frustriert, weil man nicht dieselben Möglichkeiten hatte wie andere NGOs oder Ärzte der Welt in Frankreich. Aber oft bedeutete das eben auch eine gewisse Freiheit. Dadurch waren wir schnell und beweglich und konnten unkompliziert Projekte umsetzen.
Inzwischen hat sich sehr viel getan. Jetzt sind wir 47 Festangestellte in Deutschland und über 100 Ehrenamtliche. Was ist Deinem Gefühl nach aus der Anfangszeit noch erhalten geblieben?
Ich würde sagen, ein Stück Pioniergeist und die Lust, Dinge zu bewegen und voranzubringen. Uns ist bewusst, dass wir alle kleine Rädchen im großen Ganzen sind. Aber wir wollen dazu beitragen, dass es den Menschen, die wir unterstützen, am Ende besser geht. Dieser Geist, der Elan, die Motivation, das alles ist immer noch da. Man arbeitet eben nicht zufällig bei einer Organisation wie Ärzte der Welt.
Wenn du jetzt auf die letzten Jahre schaust, gibt es da etwas, worauf Du richtig stolz bist?
Es gab Aktionen wie unsere erste Ausstellung auf dem Tollwood-Festival in München. Damals waren wir noch nicht so bekannt, dennoch hatten wir die Chance bekommen, ein Ausstellungsprojekt, das von MdM Frankreich konzipiert worden war, umzusetzen. Bei „The dark room of neglect“ ging es um vergessene Krisen. Wir waren weniger als zehn Leute, aber mithilfe des Tollwood-Teams konnten wir es realisieren. In den Folgejahren haben wir dann noch weitere, wie ich finde, sehr beeindruckende Installationen und Ausstellungen organisiert, die von sehr vielen Leuten gesehen worden sind. Bei der zweiten Ausstellung hatten wir 50.000 Besucher*innen. Die Umsetzung funktionierte aber nur durch unsere sehr engagierten Ehrenamtlichen, die die Betreuung und Anleitung der Ausstellung übernommen hatten.
Heute machen wir diese Aktionen nicht mehr, denn inzwischen setzen wir unsere Kampagnen online um, wie etwa GleichBeHandeln oder GleichGesund. Das ist eine andere Form und wir erreichen so auch Tausende Menschen und können einiges bewegen. Aber für uns persönlich ist es natürlich weniger spürbar.
Erinnerst Du Dich an einen besonderen persönlichen Moment?
In all den Jahren durfte ich außergewöhnlich inspirierende Menschen treffen, die mich bis heute sehr geprägt haben.
Auf einem dieser Festivals hat mich einmal ein sehr eleganter Mann angesprochen. Es stellte sich heraus, dass er Médecins du Monde kennt: Er war wie viele der sogenannten „Boatpeople“ in den späten 70ern, frühen 80ern vor dem Schreckensregime aus Vietnam geflohen und war vom MdM-Schiff Île de Lumière auf hoher See gerettet worden. Er war damals nach Indonesien gebracht worden und ist über Umwege nach Deutschland gekommen. Nun traf er hier zufällig wieder auf Ärzte der Welt. Das war sehr berührend. Wir hatten zu ihm und anderen, die mit ihm damals auf dem Schiff waren, noch länger Kontakt. Sie setzten sich in den Folgejahren sehr für andere Geflüchtete ein und sammelten Geld, etwa für die Tsunami-Opfer in Südostasien. Die persönliche Begegnung mit Menschen wie ihm, die sich nun so für andere engagieren, motiviert mich bis heute.