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Patient im Münchner Behandlungsbus. Foto: Ärzte der Welt

München: Was bleibt von unserem Projekt für Geflüchtete?

 

Als Ende 2015 immer mehr Geflüchtete nach München kamen, initierte Ärzte der Welt ein mobiles Projekt: Mit einem Behandlungsbus fuhren die Teams in Gemeinschaftsunterkünfte und boten medizinische Versorgung an. Hier unser Fazit des erfolgreichen Projekts und Empfehlungen aus unseren Erfahrungen.

Die Zahlen beeindrucken: Seit Januar 2016 hat Ärzte der Welt insgesamt bei 99 mobilen Einsätze Menschen in zehn Gemeinschaftsunterkünften medizinische Hilfe geleistet. In 1.606 medizinischen und in 153 psychiatrischen Untersuchungen wurden 1.520 Menschen behandelt. Die Ärzte stellten 342 Überweisungen an Fachärzte und Fachärztinnen wie beispielsweise Gynäkolog(inn)en, Dermatolog(inn)en, Lungenspezialisten,  Zahnärzte und Psychiater(innen) aus. Insgesamt waren 202 ehrenamtliche Fachärzte und Fachärztinnen, Medizinstudierende und Übersetzer(innen) an den Einsätzen beteiligt. Die Teams versorgten Menschen mit Erkältungen und Infekten, Patient(inn)en mit chronischen Krankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes, Schwangere sowie junge Mütter und ihre Babys.

Für die Menschen in den Gemeinschaftsunterkünften waren die regelmäßigen Besuche des Behandlungsfahrzeugs ein wichtiges Hilfsangebot. Ziel war es, die Patient(inn)en zu behandeln und sie ins reguläre Gesundheitssystem zu integrieren.

Zum Juli 2017 ist das Projekt nun beendet worden. Im Projektzeitraum von 18 Monaten konnten viele Versorgungslücken geschlossen werden und für die Grundversorgung der Asylbewerber(innen) gesorgt werden. Zudem endete auch die Finanzierung, die im Rahmen eines EU-Projekts gesichert gewesen war.

 

Empfehlungskatalog erstellt

Nachdem die Teams bei ihren Einsätzen viele Erfahrungen sammeln konnten, hat Ärzte der Welt Empfehlungen für Träger und leitende Mitarbeiter(innen) der Unterkünfte zusammengestellt.

  • Trotz der positiven Entwicklungen der letzten Monate sieht es Ärzte der Welt als sinnvoll an, in großen Unterkünften „Medipoints“ als feste medizinische Anlaufstellen mit regelmäßigen Sprechstunden zu schaffen. Das würde eine bessere Versorgung der Bewohner einer sicherstellen, die etwa wegen ihrer Kinder die Einrichtung nicht verlassen können.
  • Es ist nach wie vor wichtig, Ärzte und Ärztinnen im Umkreis von Gemeinschaftsunterkünften Anreize zu bieten,  Asylbewerber(innen) als neue Patient(inn)en aufzunehmen.
  • Das Behandlungsverfahren, vor allem für eine psychiatrische Behandlung, muss deutlich beschleunigt und entbürokratisiert werden. Von einem vereinfachten und niedrigschwelligen Angebot profitieren neben den Patient(inn)en auch die Gesundheitsämter, Sozialämter und Arztpraxen.
  • Es ist zwingend erforderlich, dass auch für Patient(inn)en in der gesetzlichen Krankenversicherung Sprachmittler(innen) zur Verfügung stehen. Für eine präzise Diagnose und eine gute Behandlung ist eine funktionierende Kommunikation zwischen Arzt und Patient unabdingbar. Insbesondere im Bereich der Psychiatrie und Psychotherapie ist Sprache der entscheidende Erfolgsfaktor.
  • Der Aufenthalt in einer Gemeinschaftsunterkunft sollte so kurz wie möglich gehalten werden und den Betroffenen sollte früh mitgeteilt werden, wenn sie in eine andere Unterkunft verlegt werden. Häufige Umzüge erschweren die Integration ins Gesundheitssystem und die Anbindung an Facharztpraxen erheblich.
  • Menschen, die Folter, Vergewaltigung und sonstige schwere Formen von psychischer, physischer und sexueller Gewalt erlebt haben, sowie Frauen und Kinder gelten als besonders schutzbedürftig. Es muss ein den EU-Richtlinien entsprechendes, verbindliches Gewaltschutzkonzept erarbeitet und konsequent angewendet werden. Dazu gehört etwa, dass Toiletten- und Duschkabinen abschließbar sind. Leider ist dies in vielen Gemeinschaftsunterkünften bisher noch nicht der Fall.
  • Es muss ein besseres Informationssystem für Bewohner geschaffen werden. Viele Menschen kennen Strukturen, Entscheidungswege und eigene Handlungsmöglichkeiten nicht, was zu einem  Gefühl von Ohnmacht und großer Unsicherheit führen kann.

 

Schwerpunkt mentale Gesundheit

Ein großes Augenmerk legt Ärzte der Welt auf die psychiatrische Versorgung der Asylbewerber(innen). Wissenschaftler haben herausgefunden, dass sie zehnmal häufiger an Posttraumatischen Belastungsstörungen leiden als der Rest der Bevölkerung.

Gesetzliche und bürokratische Hürden machen den Zugang zu einer psychiatrischen Behandlung nahezu unmöglich. Ärzte der Welt empfiehlt daher, in den Gemeinschaftsunterkünften ein dauerhaftes psychiatrisches Angebot oder Screening zu schaffen: So könnten vor Ort Erstgespräche mit den Asylbewerber(inne)n geführt und die Menschen bei Bedarf auch behandelt werden.

 

Der Staat ist in der Pflicht

Diese Empfehlungen kann Ärzte der Welt nicht allein umsetzen, sondern der Staat ist hier in der Pflicht.

Einige Änderungen sind schon mit einfachen Mitteln zu erreichen: Eine Sensibilisierung des Sicherheitspersonals für die besondere Situation traumatisierter Menschen, abschließbare Sanitärräume und eine verbesserte Informationspolitik innerhalb der Unterkünfte würden nicht viel kosten.

Das Thema mentale Gesundheit ist von zentraler Bedeutung, wenn Integration und die Genesung der Patient(inn)en gelingen soll. Ärzte der Welt sieht bei dem Problem mangelhafter psychiatrischer und psychologischer Gesundheitsversorgung der Asylbewerber/-innen noch Handlungsbedarf und sondiert auch eigene Möglichkeiten, um hier in Zukunft Lücken zu schließen.