Sehr geehrte Bundeskanzlerin Merkel,
als Organisation, die sich für den Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten einsetzt, begrüßen wir Ihre Entscheidung, weiterhin die Ausfuhr von Waffen zu verbieten, die Saudi-Arabien im Jemen-Krieg einsetzen könnte.
Im März 2018 haben Deutschland und mehrere andere europäische Staaten, wie die Niederlande, Österreich und Schweden, Waffenverkäufe nach Saudi-Arabien gestoppt. Vollständig in Kraft trat das Ausfuhrverbot, einschließlich der schon genehmigten Exporte, nach der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im Oktober 2018. Dadurch wurde auch der Verkauf einiger von Frankreich oder Großbritannien hergestellten Waffen verhindert, für die Bauteile oder Zubehör deutschen Ursprungs notwendig sind.
Mit ihrer Weigerung, auch nur den Verkauf von Waffenbestandteilen an die Militärkoalition zu unterbinden, stehen Frankreich und Großbritannien unter den europäischen Mitgliedstaaten allein da. Anstatt Maßnahmen zu ergreifen, um die Kriegsgräuel im Jemen zu beenden, haben Frankreich und Großbritannien die deutsche Entscheidung öffentlich kritisiert und Sie dazu ermutigt, die Waffenexporte nach Saudi-Arabien wiederaufzunehmen. Damit haben sie riskiert, die internationalen Standards für die Rüstungskontrolle zu schwächen, und möglicherweise gegen die Verpflichtungen des Vertrags über den Waffenhandel verstoßen. Darin haben sich die Unterzeichnenden zur „Einhaltung und die Durchsetzung der Einhaltung des humanitären Völkerrechts“ verpflichtet, um „menschliches Leid zu mindern“. Und der Gemeinsame Standpunkt der Europäischen Union zu Waffenausfuhren verpflichtet die Mitgliedstaaten, „die Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts durch das Endbestimmungsland“ sicherzustellen. Dazu kommt die nationale Gesetzgebung Deutschlands.
Ein Stopp der Waffenexporte nach Saudi-Arabien ist die einzige Position, die mit den vereinbarten europäischen und internationalen Verpflichtungen im Einklang steht. Diese haben die Konfliktparteien im Jemen immer wieder gebrochen.
Seit Beginn der von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten angeführten Militärintervention am 26. März 2015, hat die Koalition über 19.000 Luftangriffe durchgeführt – alle 106 Minuten einen. Dabei hat sie zahlreiche Zivilisten getötet und zivile Infrastruktur zerstört. In ihrem 2019 veröffentlichten Bericht ist die UN-Expertengruppe für den Jemen zu dem Schluss gekommen, dass die von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten getroffenen Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung „weitgehend unzureichend und wirkungslos“ sind.
Zusätzlich hat die Militärkoalition den Import von lebenswichtigen Nahrungsmitteln, Medikamenten und Treibstoffen beschränkt. Dies hat in hohem Maße zu der „schlimmsten humanitären Krise der Welt“ beigetragen, wie die UN die Situation im Jemen beschrieben hat.
Vierundzwanzig Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen und 10 Millionen sind von Hunger bedroht. Dazu kommt, dass die Angriffe immer wieder Wasseraufbereitungsanlagen, Leitungen und Verkehrsknotenpunkte zerstören und somit den Zugang zu sauberem Wasser enorm erschweren. Ein Resultat war der schlimmste Cholera-Ausbruch der Neuzeit – mit 1,3 Millionen Verdachtsfällen.
Auch Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen haben die Bomben zerstört, während gleichzeitig die Zahl der Menschen, die medizinische Versorgung benötigen, massiv ansteigt. Auch Infrastruktur zur Stromversorgung und andere für die Gesundheit und das Wohlbefinden der jemenitischen Bevölkerung unerlässliche zivile Einrichtungen wurden schwer getroffen.
Wir hoffen, dass Deutschland auch in Zukunft eine klare Haltung einnehmen wird, die mit seinen rechtlichen Verpflichtungen im Einklang steht. Dazu gehört die nationale Gesetzgebung, die es verbietet, Waffen – einschließlich Ersatz- und Bauteilen – zu exportieren, wenn ein großes Risiko besteht, dass sie verwendet werden, um gegen das Völkerrecht oder die Menschenrechte zu verstoßen. Das Verhalten der Koalition seit dem Jahr 2015 hat diese Risiken deutlich vor Augen geführt.
Diese Führungsrolle solle Deutschland auch während des gemeinsamen Vorsitzes im UN-Sicherheitsrat mit Frankreich beibehalten. Das von den beiden Ländern organisierte Arria-Formel-Treffen am 1. April, bei dem es um den Schutz von humanitärem und medizinischem Personal und Einrichtungen sowie der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten gehen soll, ist ein wichtiger Schritt. Daneben muss Deutschland alle ihm während und nach der Ratspräsidentschaft zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um die Rechte der Zivilbevölkerung im Jemen zu schützen und sicherzustellen, dass die für Verstöße gegen das Völkerrecht Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.