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Während der Pandemie empfängt das Team von open.med Hamburg die Patient*innen mit einer Fenster-Sprechstunde. Foto: Bente Stachowske

Ungesehen, ungeschützt, unversichert in der Pandemie

 

Ungesehen, ungeschützt, unversichert in der Pandemie

Ein neuer Bericht der Organisation Ärzte der Welt bietet einen seltenen Einblick in die Lebens- und Gesundheitssituation von Menschen in Deutschland, die auch während der Covid-19-Pandemie keinen ausreichenden Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Er offenbart dringenden politischen Handlungsbedarf.

Die Veröffentlichung, die auf im vergangenen Jahr in den Projekten von Ärzte der Welt in München, Berlin und Hamburg gesammelten Daten basiert, zeichnet ein besorgniserregendes Bild: So hatten rund 43 Prozent der befragten Patient*innen zuvor auf Gesundheitsversorgung verzichtet, obwohl sie krank waren. Bei den obdachlosen Menschen betrug der Anteil sogar 76 Prozent.

„Gerade während einer Pandemie muss es oberste politische Priorität sein, Gesundheitsdienste für alle zugänglich zu machen. Dass hierzulande Menschen auch bei einer Covid-19-Erkrankung unter Umständen keine Hilfe erhalten, ist nicht hinnehmbar“, sagt Ärzte der Welt-Direktor François De Keersmaeker. „Leider bleibt die Situation auch in diesem Jahr problematisch. Gerade jetzt im Winter und angesichts der vierten Welle und der Bedrohung durch die Omikron-Virusvariante, sind unsere Patient*innen besonders gefährdet, schwer zu erkranken.“

Der Bericht zeigt die zahlreichen Barrieren auf, die dazu führen, dass Hunderttausende Menschen in Deutschland keine reguläre Arztpraxis aufsuchen können - darunter fehlender Krankenversicherungsschutz, ein Mangel an Informationen, Diskriminierung, Bürokratie und Sprache.

Häufig sind Betroffene kaum in der Lage, sich vor einer Infektion mit dem Coronavirus zu schützen und müssen einen schwereren Verlauf befürchten. Viele leben in beengten Wohnverhältnissen oder sind obdachlos. Die gesundheitsschädlichen Lebensbedingungen und der mangelnde Zugang zu ärztlicher Versorgung verursachen chronische Krankheiten oder verschlimmern diese. Rund 56 Prozent der Diagnosen bei der ersten Konsultation in einem Ärzte der Welt-Projekt waren chronischer Art - am häufigsten Bluthochdruck und Diabetes.

Die pandemiebedingten Ausgangs- und Bewegungsbeschränkungen und die damit verbundene soziale Isolation haben die Situation der Klient*innen von Ärzte der Welt 2020 zusätzlich verschlechtert. Viele fanden daher erst mit fortgeschrittenen Erkrankungen den Weg zu Ärzte der Welt. Darunter befand sich zum Beispiel eine Patientin, die sich erst vier Tage nach einem akuten Schlaganfall an das Münchner Angebot wandte.

Ärzte der Welt fordert daher die neue Bundesregierung auf, einen gesetzlichen Anspruch auf medizinische Versorgung für alle Menschen in Deutschland sicherzustellen und einen niedrigschwelligen, diskriminierungsfreien Zugang zu ermöglichen. Zudem muss die Datenlage zu Menschen ohne Krankenversicherung dringend verbessert werden.

„Wenn man die Menschen erreichen will, auch mit Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, muss man ihre Lebensumstände kennen. Doch die offiziellen Datenerhebungen in Deutschland erfassen die Mehrzahl unserer Klient*innen nicht. Der Ärzte der Welt-Gesundheitsreport soll dazu beitragen, diese Lücke zu füllen“, so Ärzte der Welt-Direktor François De Keersmaeker.

Ärzte der Welt veröffentlicht seinen Gesundheitsreport 2021 „Ungesehen, ungeschützt, unversichert in der Pandemie. Krank und ohne medizinische Versorgung in Deutschland“ anlässlich des Welttags der allgemeinen Gesundheitsversorgung (Universal Health Coverage Day) am 12. Dezember. Für die Studie hat die Organisation Daten von 967 Patient*innen ausgewertet.

 

 

Über Ärzte der Welt: Ärzte der Welt ist eine humanitäre Organisation, die sich in über 70 Ländern weltweit mit medizinischen Projekten und politischer Arbeit für das Menschenrecht auf Gesundheit einsetzt. In Deutschland behandeln und beraten ehrenamtliche Mediziner*innen sowie hauptamtliche Mitarbeitende in den von Ärzte betrieben Anlaufstellen und Behandlungsbussen Menschen, die keinen Zugang zum regulären Gesundheitssystem haben.

Stephanie Kirchner
Pressereferentin

Kontakt:
+49 (0) 159 04 06 21 04
stephanie.kirchner@aerztederwelt.org