Ein breites Bündnis von Organisationen demonstrierte vor dem Brandenburger Tor in Berlin gegen Barrieren im Zugang zu medizinischer Versorgung in Deutschland. Fast ein Dutzend Einsatzbusse medizinischer Hilfsorganisationen fuhren am 20. März 2018 begleitet von mehreren Hundert Demonstrierenden am Brandenburger Tor ein. Dort waren bereits rund einhundert Kartons zu einer symbolischen Mauer aufeinandergestapelt. „Verständigungsprobleme“, „Einschränkungen nach Asylbewerberleistungsgesetz“ oder „zu hohe Versicherungsbeiträge“ stand auf den Bausteinen. Ärztinnen und Ärzte auf der einen und Patientinnen und Patienten auf der anderen Seite waren durch die Mauer voneinander getrennt - gemeinsam rissen sie schließlich die Barriere ein.
Der Hintergrund des Protests: Hunderttausende Menschen haben in Deutschland keinen ausreichenden Zugang zu medizinischer Versorgung. Dabei hat sich Deutschland in internationalen Abkommen verpflichtet sicherzustellen, dass hierzulande jeder und jede das Menschenrecht auf Gesundheitsversorgung wahrnehmen kann, ohne in eine finanzielle Notlage zu geraten. Aber immer noch schränken rechtliche Vorgaben die Möglichkeit vieler ein, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Hinzu kommen sprachliche Barrieren und Diskriminierungen im Gesundheitssystem. Betroffen sind häufig Menschen, deren Lebensbedingungen ohnehin ihre Gesundheit beeinträchtigen und die Lebenserwartung senken. Armut macht krank. In einem reichen Land wie Deutschland ist das nicht hinzunehmen.
Für Menschen ohne Papiere kann der Gang zum Arzt die Abschiebung bedeuten.
Anlässlich des Kongresses Armut und Gesundheit am 20. und 21. März in Berlin fordert daher ein Zusammenschluss von mehr als 20 Organisationen die Bundesregierung dazu auf, sämtliche diskriminierende Hürden zu beseitigen, die verhindern, dass Menschen notwendige medizinische Leistungen in Anspruch nehmen. „Personen mit Beitragsschulden - zum Beispiel Selbstständige, die sich die Versicherungsbeiträge nicht mehr leisten können - haben oft nur ein Anrecht auf Notfallversorgung. Das kann dazu führen, dass Krankheiten verschleppt oder chronisch werden", sagt Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland.
„Für Menschen ohne Papiere kann der Gang zum Arzt die Abschiebung bedeuten. Denn das Sozialamt muss sie laut Aufenthaltsgesetz bei der Ausländerbehörde melden, wenn sie einen Krankenschein beantragen. Diese Vorschrift kann Menschenleben kosten und gehört abgeschafft!" fordert Johannes Ulrich vom Medinetz Würzburg.
Dringend abgeschafft werden muss nach Ansicht der Organisatoren des Protests auch das sogenannte Leistungsausschlussgesetz, das vielen Menschen aus anderen Ländern der europäischen Union den Anspruch auf notwendige Gesundheitsdienste verwehrt. "Das Gesetz schiebt die Verantwortung auf Ärzte und Ärztinnen ab und zwingt sie in ein Dilemma zwischen der Pflicht zu helfen und dem Kostendruck. Für die Patientinnen und Patienten kann dies lebensbedrohliche Folgen haben", kritisiert Prof. Heinz-Jochen Zenker vom Verein Ärzte der Welt.
Auch Geflüchtete erhalten keinen vollen Zugang zum Gesundheitssystem. „Asylsuchende haben in den ersten 15 Monaten keinen ausreichenden Anspruch auf medizinische Versorgung. Wir fordern, ihnen entsprechend der menschenrechtlichen Verpflichtungen von Anfang an unbürokratischen Zugang zu Leistungen im Umfang der gesetzlichen Krankenversicherungen zu ermöglichen“, sagt Tobias Kiwitt, Themenkoordinationsgruppe Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Menschenrechte bei Amnesty International.
Diese und weitere Forderungen an die Bundesregierung werden die Sprecher der einzelnen Organisationen bei der Kundgebung vortragen.
Die Sprecher und Betroffene stehen Ihnen gern vorweg oder am Rande der Demonstration zu Interviews zur Verfügung.
Auf der Kundgebung sprachen:
Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbands
Lillian Petry Kababiito, Koordinatorin von AGHNiD (Afrikanisches Gesundheits- und HIV-Netzwerk in Deutschland), einem Netzwerk der Deutschen Aidshilfe e.V.
Dr. Cevat Kara, Projektreferent open.med München, Ärzte der Welt e.V.
Prof. Dr. Ulrike Kostka, Direktorin des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin
Lukas Kratzsch, Medibüro Berlin
Prof. Dr. Gerhard Trabert, Vorsitzender des Vereins Armut und Gesundheit
Unterstützer der Kundgebung:
Amnesty International
Armut und Gesundheit in Deutschland e.V.
Ärzte der Welt
Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. - AG Medizin und Menschenrechte
Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer
Caritasverband für das Erzbistum Berlin e.V.
Deutsche AIDS-Hilfe
Diakonie Deutschland
Familienplanungszentrum Balance
Gesundheit Berlin-Brandenburg e.V.
Handicap International
IPPNW
Malteser
Medibüro Berlin
Medico international
Medinetz Mainz
MediNetz Würzburg e.V.
Medizin Hilft e.V.
Migrantenmedizin Westend - Hoffnungsorte Hamburg
Migrationsrat Berlin
Parität
Praxis ohne Grenzen
Praxis ohne Grenzen Remscheid
Praxis ohne Grenzen Solingen
Stadtmission Berlin
Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte